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Irmgard Keuns Roman Das kunstseidene Mädchen beschreibt in Tagebuchform fast ein Jahr im Leben einer jungen Frau. Der Roman ist als Entwicklungsroman strukturiert und spielt zwischen 1931/32.
Doris, 18 Jahre jung, ist Sekretärin in einer Anwaltskanzlei und unzufrieden mit ihrem Leben und ihren Perspektiven. Sie will ihrem kleinbürgerlichen Milieu entkommen und beschließt, ein Glamour zu werden. ist in einer bürgerlichen Stadt am Rhein aufgewachsen, sie hat einen einfachen bürgerlichen Hintergrund. Die Mutter ist eine Garderobenfrau am Theater, der Vater ist arbeitslos und ein frustrierter Haustyrann. Ohne Bildung und Ausbildung sieht sie die einzig realistische Chance auf sozialen Aufstieg bei männlichen Bekannten.Sie fühlt sich wie jemand Ungewöhnliches an, schön genug für mehr. Sie fühlt, dass ihr Leben ein Film ist, und so beschreibt sie es als einen Film.
Ein sehr realistischer Film, ohne jegliche junge Mädchenromantik oder falsche Sentimentalität. Doris weiß, wie man das Leben nimmt und sie wagt es. Sie sucht nicht nach Glück, denn Glück erfüllt dich. Aber vor allem durchschaut sie die Männer, ihre Eitelkeit, ihre Pompösität und ihre sexy Gier. Ihr zufolge gibt sich ein Mädchen nur aus zwei Gründen für Geld oder Liebe hin. Aber ihre ersten Versuche, durch männliche Bekannte aufzusteigen, scheitern. Sie verliert sogar ihren Job, weil sie sich weigert,
sich ihrem Arbeitgeber – dem Pickelgesicht – zu stellen, ohne etwas zurückzugeben. Durch die Vermittlung ihrer Mutter bekommt sie endlich einen Job als Statistin am Theater. Um Aufmerksamkeit zu erregen, erfindet sie eine Beziehung zum Regisseur und durch eine Intrige – sie sperrt ihre Rivalin kurzerhand ein – gelingt es ihr sogar, eine kleine Sprecherrolle zu bekommen. Sie scheint es geschafft zu haben, der Tag der Premiere wird ihr Triumph sein, und sie ist berühmt und ein Glanz. Als sie jedoch zur Direktorin ernannt wird, vermutet sie, dass ihre Lüge Aufmerksamkeit erregt hat. Sie beschließt zu gehen. Bei einem letzten Theaterbesuch sieht sie ein kostbares Fell, Feh, das sie stiehlt und nach Berlin flieht, von einem Freund mit Geld und Kontaktadressen versorgt. In Berlin ist es dieses Fell, das ihr Leben bestimmt und über das sie lebt. Das Feh ist bei mir – meine Haut zieht sich zusammen, bevor ich es will. Es stellt für sie so etwas wie die Eintrittskarte in die anspruchsvolle Welt dar. Ein Versprechen für die Zukunft und sehr praktisch, die Möglichkeit, eine andere Männerklasse kennenzulernen. Aber trotz des Fells haben ihre ersten Versuche nur einen mäßigen Erfolg. Sie begeht sogar kleine Diebstähle und nimmt schließlich als Nanny Arbeit auf. Der Vermieter will sie zu seiner Geliebten machen. Er bietet ihr ihre eigene Wohnung und ein großzügiges Taschengeld an, aber sie entscheidet sich für seine Freundin, die Schöne, leider fehlen ihm die finanziellen Möglichkeiten und so ist sie endlich wieder auf der Straße. Sobald sie es geschafft zu haben scheint. Sie trifft einen Industriellen, der sie in seine Wohnung bringt und sie großzügig frei hält. Sie hat ein Dienstmädchen und einen Chauffeur.
Aber diese Feier ist kurz, der Industrielle wird verhaftet und seine Frau wirft sie aus der Wohnung. Schließlich gelingt es ihr, mit einem Redakteur eine Unterkunft zu finden. Aber als er sie ausgerechnet an Heiligabend versetzt, packt sie nachts ihre Koffer und verlässt ihn. Doris ist berechnend, aber keineswegs herzlos. So gibt sie ihr letztes Geld an eine hochschwangere Freundin und kümmert sich um einen Blinden, dem sie ihre große Welt zeigt, bevor er in ein Pflegeheim eingeliefert wird. Letztendlich scheitert sie an ihrem Selbstwertgefühl, die Männer sollten sie aus Achtung, Respekt und Wertschätzung für ihre Person ertragen. Sie will keine Ware werden und fürchtet nichts anderes als den Abstieg in die Prostitution. Sie verbringt die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr ohne eine Unterkunft auf der Straße und schläft im Wartezimmer im Bahnhof Zoo. Dort trifft sie Karl, einen arbeitslosen Maschinenschlosser, der in einem Pavillon lebt und mit dem Tablett eines Verkäufers über die Runden kommt. Er hilft ihr, versorgt sie mit Essen und macht ihr ein Angebot, bei ihm einzuziehen, zu leben und zu arbeiten, aber sie weigert sich. Silvester, sie trifft Ernst, das Moos. Ein Mann aus einem bürgerlichen Kreis, der von seiner Frau verlassen wurde und Doris aus Einsamkeit mitnimmt. Ernst ist der erste Mensch, der – abgesehen von der Gesellschaft – nichts von ihr will, sie nicht täuscht, ihr selbstlos hilft und ihr vertraut. Doris ist so viel Selbstlosigkeit auf den ersten Blick unheimlich, sie verachtet sein Verhalten als Schwäche. Aber zum ersten Mal fühlt sie sich bei einem Mann sicher und wächst von Tag zu Tag mehr in die Rolle der Hausfrau hinein. Sie beginnt, das kleine Familienglück kennenzulernen und zu schätzen, ja, sie beginnt sogar, ihn zu lieben. Um sein Vertrauen zu rechtfertigen, gibt sie ihm ihr Tagebuch zum Lesen. Ernst schlägt vor, das Fell zurückzugeben und Ordnung in ihre Beziehungen zu bringen. Sie beginnt, sich von ihrem Fell zu lösen. Als ein Brief von Ernsts Frau eintrifft, in dem sie schreibt, dass sie zu Ernst zurückkehren will, verbirgt sie ihn und fegt ihn – im wahrsten Sinne des Wortes – unter den Teppich. Aber das ist nicht die einzige Dissonanz in ihrer Beziehung. Doris erlebt schmerzhaft ihren Mangel an Bildung und bürgerlichem Lebensstil, ihren unterschiedlichen sozialen Hintergrund, den Unterschied zwischen Schubert und Das ist die Liebe der Serosen. Doris versucht, Ernsts Frau zu unterdrücken, sie dazu zu bringen, ihn zu vergessen, aber nachdem sie ihn verführt hat, muss sie erkennen, dass er seine Frau immer noch liebt. Sie lässt ihn ohne Aussprache zurück. Aber sie schickt ihm den unterschlagenen Brief seiner Frau, besucht sie sogar und schickt sie zu ihm zurück. Endlich ist sie wieder auf der Straße, mittellos und ohne Schutz. Die Begegnung mit einem Jungen am Bahnhof Friedrichstraße, der sein Essen und Geld mit ihr teilt, wird für Doris zum Wendepunkt. Sie entscheidet sich für ihr Milieu, macht sich auf die Suche nach Karl und, wenn er sie noch will, um sich mit ihm zu treffen. Denn vielleicht ist es nicht so wichtig für den Glanz.